Egal ob vor einem Vorstellungsgespräch oder einem ersten Date, die heutige Plattitüde geht einfach immer. Mit einer lässigen Handbewegung in Richtung des Gegenübers versehen, entsteht der Eindruck, dem Rat seien in irgendeiner Form echte Gedanken vorausgegangen. Im Folgenden geht es darum, warum „Sei einfach du selbst“ auf den Holzweg führt. Denn wir müssten erst einmal wissen, wie wir wirklich sind. Sicherlich haben wir in den verschiedensten Situationen schon mit einer ganzen Bandbreite eigener Charakterzüge zu tun gehabt. In der Vergangenheit waren wir mal spontan, mal laut, verkrampft, ängstlich, mutig, selbstbewusst, nachdenklich, ruhig oder unternehmungslustig. Was davon sollen wir jetzt auf das Date mitnehmen? Eher das romantisch-spontane Selbst, welches einen Spaziergang am Fluss einfach passieren lässt, ohne viel zu planen? Oder doch lieber das strategische Ich, welches die perfekte Verabredung orchestrieren will? Hängt unser Verhalten nicht sowieso auch von äußeren Faktoren ab, die wir mitunter gar nicht kontrollieren können? In gewisser Weise kommt man ganz automatisch zur Frage: Wie will ich von außen gesehen werden? Dazu muss man sich darüber klar werden, welche Charakterzüge man erstrebenswert findet und welche nicht. Man erschafft also einen idealen Soll-Zustand seiner selbst und fängt an, diesem hinterherzulaufen. Und ehe man sich versieht, ist man in der Tragödie des Idealisten verfangen, die Robert Pfaller in seinem Buch „Wofür es sich zu leben lohnt“ anspricht. Der Idealist ist von der Existenz geistiger Konstrukte überzeugt, die sich nicht auf materielle Vorgänge herunterbrechen lassen. Ideen und Ideale bestimmen sein Denken. Herrn Pfaller nach zu urteilen so sehr, dass die Unternehmung seines Lebens wie eine klassische Tragödie verlaufen muss: Der Mensch setzt sich hohe Ziele, wird denen niemals gerecht und am Ende sind alle unglücklich, wenn nicht sogar tot. Dem Idealismus stellt er die aus seiner Sicht bessere Alternative gegenüber: Den Materialismus. Jetzt werden die meisten aufschreien, denn wer will sich in der heutigen Zeit gerne einen Materialisten nennen? Wer findet Valentin, den geleckten Jurastudenten mit seiner Breitling-Uhr, wirklich sympathisch? Wer behauptet ohne massives Augenzwinkern, Rick Ross und seine Goldketten seien wirklich cool? Und nicht umsonst ist der Bad Guy in Highschool Filmen der, dessen Vati die ganze Kohle hat. Kurzum: Die Philosophen des Materialismus haben von vornherein verkackt bei uns. Dabei ist ihre Botschaft gar keine dumme. Sie argumentieren, dass die Welt auf eine Summe materieller Vorgänge heruntergebrochen werden kann. Da machen sie selbst vor den Idealen der Idealisten nicht halt und interpretieren sie als eine Folge von Molekülbewegungen im Gehirn. Meiner Meinung nach eine durchaus legitime Sichtweise. Klar, diese Perspektive ist viel nüchterner als die von Idealen geprägte. Doch dass sie durchaus gesund ist im Alltag, zeigt Pfaller in seinem Buch. Wenn der Idealismus der Tragödie gleicht, dann ist der Materialismus die Komödie. Durch den Wegfall der Ideale und der unerreichbaren Soll-Bilder, konzentriert man sich auf die Frage: „Was bietet dieses Leben für mich im Hier und Jetzt?“ Ganz automatisch fängt man an, sich auf die Zustände in der Gegenwart zu konzentrieren, was in vielen Situationen erfrischend sein kann. Aus dieser Haltung heraus lässt es sich viel leichter über sich selbst lachen, wenn einmal etwas nicht so läuft wie geplant. Auf einmal steht nämlich nicht mehr die mögliche Ablehnung durch den potentiellen Arbeitgeber oder die potentielle Romanze im Fokus. Stattdessen nimmt man die Dinge war, die man unabhängig vom Ausgang genießen kann. Bei einem Date wären das vielleicht die Atmosphäre in der Stadt, der Kaffee, den man trinkt oder die Sushirolle, die man sich mit ans Flussufer nimmt. Bei einem Vorstellungsgespräch hingegen könnte man neugierig sein, ob die Interviewpartner merken, dass man die ganze Zeit improvisiert. Zugegebenermaßen macht es das immer noch nicht zu einem tollen Erlebnis. Aber ich glaube, das wollen Vorstellungsgespräche auch gar nicht sein. Natürlich sage ich nicht, dass wir unsere Ideale über Bord werfen sollten, um fortan jeden Moment nach dem zu bewerten, was für uns drinsteckt. Am besten ist sicherlich eine Doppelstrategie: Ideale sollten uns die Richtung vorgeben, in die wir grob gehen. In jedem einzelnen Unterfangen sollten wir jedoch materialistisch-komödiantisch denken. Und anstatt den Rat zu geben „Sei einfach du selbst“, wäre es hilfreicher zu sagen „Sei einfach materialistisch und schau, an was du dich selbst im Falle eines Scheiterns erfreuen kannst.“
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